2015
Omnibusse von Mercedes-Benz und Setra stehen für höchste Sicherheit, Beherrschbarkeit und Funktion. Beide Marken von Daimler Buses sind auf diesem Gebiet schon lange Vorreiter. Eine wichtige Basis dieses Vorsprungs ist eine intensive und frühzeitige Erprobung von Komponenten, ganzen Baugruppen und kompletten Omnibussen unter Extrembedingungen. Zum Beispiel mit den jährlichen Wintertests bei arktischen Temperaturen und auf Eis und Schnee am Polarkreis.
Arvidsjaur und Arjeplog in Schweden, Rovaniemi in Finnland – Eingeweihte aus Versuch und Entwicklung der Automobilindustrie kennen die drei Städte in Lappland am Polarkreis. Es ist das Mekka der harten Tester. In jedem Winter zieht es die Ingenieure, Mechaniker und Fahrer des Versuchs von Daimler Buses mit den Marken Mercedes-Benz Omnibusse und Setra von Januar bis März in den Winter des hohen Nordens. Die Torturen in der kalten Jahreszeit Skandinaviens mit strenger Kälte, Eis und Schnee kommen den Mitarbeitern des Versuchs gerade recht: In Arvidsjaur, Arjeplog und Rovaniemi gibt es Testareale für Antrieb, Fahrwerk, Komponenten und Material wie nirgendwo anders.
Im nordschwedischen Arvidsjaur und im nahe gelegenen Arjeplog beginnt der Winter bereits im Herbst: Schon im Oktober fällt die Tagestiefsttemperatur regelmäßig unter die Marke von null Grad Celsius, das ändert sich erst wieder im Mai. Die Wetterstation meldet im Schnitt 186 Frosttage im Jahr, der Jahresmittelwert der Temperatur beläuft sich auf fast genau null Grad. Hoher Niederschlag ist ebenfalls normal – wer im Winterhalbjahr Schnee sucht, der ist hier richtig. Die Flocken bleiben liegen: In der Regel klettern die Tageshöchstwerte erst ab April wieder über die Grenze von null Grad.
Die beiden Städte auf dem 65. und 66. Breitengrad liegen knapp unterhalb des Polarkreises und sind seit vielen Jahren ein wichtiges Winterziel des Versuchs von Daimler Buses. Hier stehen vor allem Fahrdynamiktests auf den zugefrorenen Seen bei Arjeplog auf dem Programm. Bei Kreisfahrten auf definierten Eisflächen muss sich zum Beispiel das elektronische Stabilitätsprogramm ESP unter Extrembedingungen bewähren.
Spezialisierte ortsansässige „Icemaker“ präparieren für die Tests neuer Omnibusse und Komponenten maßgeschneiderte Fahrbahnen: Sobald die Seen zugefroren sind, wird regelmäßig Schnee von der gefrorenen Oberfläche geräumt, so dass das Eis an diesen Stellen besonders dick zufriert. Damit steigt die Belastbarkeit des Eises und Fahrzeuge können darauf fahren. Ganz nach Wunsch und Arbeitsprogramm der Tester gibt es aufgeraute Fahrspuren, eisglatte Strecken und mit einem feinen Wassernebel bedeckte, nahezu unpassierbar glatte Bahnen. Eine perfekte Voraussetzung für Testfahrten unter immer gleichen Bedingungen. Unter der meterdicken Eisdecke der Seen lauern teils mehr als 200 m tiefe Gewässer. Trotzdem besteht keine Gefahr, da sich die disziplinierten Versuchsfahrer stets an die vorbereiteten Pisten halten: Das Eis ist für ein Gewicht von bis zu 40 t freigegeben.
Ähnliche klimatische Bedingungen herrschen auch 500 km weiter östlich in der finnischen Stadt Rovaniemi. Der Ort in Lappland gilt als Heimatstadt des Weihnachtsmanns. Es gibt hier ein Weihnachtsmanndorf und sogar ein eigenes Weihnachtsmann-Postamt. Doch nicht deshalb zieht es die Mitarbeiter des Versuchs von Daimler Buses regelmäßig in jedem Winter von Januar bis März nach Rovaniemi: Hier am 66. Breitengrad, unmittelbar am Polarkreis, findet die Versuchsabteilung von Daimler Buses ebenfalls ideale Testbedingungen für harte Wintertests vor.
Auf einem Gelände des Flughafens nutzen die Mitarbeiter des Versuchs neben einer eigenen Teststrecke mit Kreisbahn auch das Testgelände des Bremsenherstellers Wabco. Es bietet eine 800 m lange gerade Bremsbahn für Tests auf Eis, Schnee und Asphalt. Möglich sind auch Kombinationen aus unterschiedlichen Reibwerten auf der linken und rechten Seite – etwa aus einer beheizten griffigen Asphaltfläche und blankem Eis. Hinzu kommen die Fahrdynamikplatte, eine kreisrunde Fläche mit 280 m Durchmesser und ein Steigungshügel sowie ein Handlingkurs. Die Stadt Rovaniemi mit ihren rund 60.000 Einwohnern bietet außerdem die Chance zur Erprobung von Stadtlinienbussen unter extremen Winterbedingungen im Realverkehr.
Omnibusse von Mercedes-Benz und Setra können mehr als andere. Sie bieten mehr Sicherheit, mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Komfort. Zum Beispiel sind Mercedes-Benz und Setra nicht nur Vorreiter für neue Sicherheits- und Assistenzsysteme. Diese und andere Komponenten können häufig deutlich mehr als gesetzlich vorgeschrieben – und deutlich mehr als Wettbewerber. Die Notbremsassistenten Active Brake Assist 3 und AEBS (Advanced Emergency Braking System) können bereits jetzt mehr als bei der gesetzlichen Einführung im November diesen Jahres vorgeschrieben sein wird. Sie übererfüllen sogar bereits die künftig verschärften Vorschriften ab 2018.
Die internen Vorgaben von Daimler Buses sind ambitioniert: Sämtliche Funktionen eines Omnibusses von Mercedes-Benz und Setra müssen sicher bis zu einer Außentemperatur von minus 25 Grad Celsius gewährleistet sein. Einige Funktionen sogar bis minus 40 Grad Celsius. Als Einschränkung akzeptiert wird zum Beispiel, dass das Zentraldisplay im Cockpit nicht sofort startbereit ist. Auch die Reihenfolge der grundsätzlichen Funktionen ist vorgegeben: Zuerst der Motor, dann alle wesentlichen Komponenten rund um den Fahrerplatz, dann der Fahrgastraum – Sicherheit und Funktions-sicherheit geht bei einem Omnibus von Mercedes-Benz und Setra stets vor.
Die Erprobungsphase im Polarwinter dauert jeweils rund sechs Wochen – von Ende Januar bis Mitte März. Zuvor nimmt die Vorbereitung weitere drei Wochen in Anspruch: Messinstrumente werden in die Omnibusse eingebaut, Erprobungsteile vorbereitet, Ersatzteile eingepackt. Je nach Ziel und Ablauf der Tests werden die Omnibusse mit Ballast bestückt.
Bereits die Anreise zum Polarkreis ist Teil der Erprobung: Vom Versuch in Neu-Ulm bis zum Ziel in Arjeplog oder Rovaniemi sind es jeweils knapp 3.000 km. Sie werden, abgesehen von einer Fährpassage über die Ostsee, durchweg auf eigener Achse zurückgelegt. Vier Tage dauert die Tour, während der zum Beispiel die Heizungs- und Klimaregelung durch große Unterschiede von Temperatur und Luftfeuchtigkeit gefordert ist. Die Strecke zum Polarkreis und zurück entspricht für Reise- und Überlandbusse einem intensiven Test im winterlichen Verkehr auf Autobahnen und Fernstraßen. Vor Ort gibt es innerhalb von Rovaniemi eine definierte Stadtstrecke für die Straßenerprobung von Stadtlinienbussen, ebenso festgelegte Überlandstrecken für Reise- und Überlandbusse.
Angesichts der großen Modellvielfalt von Mercedes-Benz und Setra lässt sich nicht jede Variante von Länge und Höhe, von Motorleistung und Getriebe auf Herz und Nieren unter die Lupe nehmen. Deshalb definieren die Ingenieure repräsentative Ecktypen für die Tests. Sie decken alle Modelle ab, zum Beispiel Zwei- und Dreiachser, Solo- und Gelenkbusse. Berücksichtigt werden ebenfalls die Massenverteilung und die Fahrzeughöhe – ein Setra der TopClass 500 zum Beispiel hat als Superhochdecker zwangsläufig ein ganz anderes Fahrverhalten als ein Mercedes-Benz Citaro als Niederflur-Stadtbus.
Die Schwerpunkte der jährlichen Wintertests heißen: Funktion in kalter Umgebung und Fahren auf niedrigem Reibwert, sprich Eis und Schnee. Auf der Hand liegen Wintertests von Heizung, Lüftung und Klimatisierung für Fahrer- und Begleiterplatz sowie den Fahrgastraum. Die Entfrostung der Windschutzscheibe ist ein wichtiges Thema, ebenso die Funktion der Scheibenwischer oder die Dichtigkeit von Türen und Klappen bei tiefen Minustemperaturen. Wie lassen sich Schneeketten aufziehen, ist die Funktion von Schleuderketten an der Antriebsachse gewährleistet? Ist das Öffnen und Schließen druckluftbetätigter und elektrisch angetriebenen Türen auch bei tiefem Frost sicher? Sind Luftleitungen auch bei minus 30 Grad dicht? Dringt womöglich Schneestaub durch die Ansaugöffnung ein und setzt den Luftfilter zu? Funktioniert die Vorwärmung von AdBlue? Die Liste der Funktionstests umfasst eine Vielzahl von Punkten.
Manch wichtiges Thema ist erst auf den zweiten Blick zu erkennen: Wie verhalten sich zum Beispiel bei der Beplankung Materialien aus Stahlblech oder Kunststoff zueinander, denn sie besitzen einen unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten je nach Temperatur. Wie reagieren die elastischen Kleber einer Seitenbeplankung bei drastischen Minustemperaturen, wenn das Gerippe aus Stahl starr bleibt, sich jedoch eine Beplankung aus Kunststoff zusammenzieht.
Getestet werden der Motor und die Abgasnachbehandlung, das Getriebe und die gesamte Peripherie des Antriebsstrangs. Dabei bleiben die Testfahr-zeuge für den Kaltstarttest über das Wochenende mit offener Motorklappe stehen, so dass die Aggregate völlig auskühlen. Selbst im Ölsumpf herrscht dann eine Temperatur von minus 25 Grad oder weniger. Selbst erfahrene Ingenieure freuen sich unter solchen Bedingungen, wenn ein schwerer Dieselmotor bei minus 30 Grad Celsius Außentemperatur nach wenigen Sekunden sicher anspringt und das Triebwerk auf Anhieb rundläuft.
Beim Fahrwerk geht es vor allem um ESP und dessen zahlreiche Unterfunktionen, um Bremsen und um die Lenkung. Wie zum Beispiel arbeitet die Lenkhelfpumpe bei einer Temperatur von minus 25 Grad Celsius? Wie früh soll ESP eingreifen?
Das Ergebnis der ausgiebigen Abstimmungsfahrten auf Eis und Schnee ist beeindruckend. Dies lässt sich am Polarkreis anhand von Elementen aus dem Omniplus Fahrsicherheitstraining in der Realität buchstäblich erfahren. Ob Vollbremsungen auf blankem Eis oder mit links und rechts unterschiedlichen Reibwerten (µ-Split), ob Kreisfahrt mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf Eis, spektakuläre Ausweichmanöver mit einfachem oder gar doppeltem Spurwechsel nach Vorbild des VDA-Ausweichtests – die Omnibusse von Mercedes-Benz und Setra meistern selbst anspruchsvolle Aufgaben und prekäre Situationen sicher. Vor allem aber: Dank der intensiven Abstimmungsarbeit reagieren sie für den Fahrer stets berechenbar. Das gilt vom Minibus bis zum Superhochdecker.
Das beweist bereits der handliche Minibus Mercedes-Benz Sprinter Travel 65. Er profitiert vom gleichermaßen sicher wie komfortabel abgestimmten Fahrwerk des Sprinter. Der kompakte Mercedes-Benz Tourismo K ist dank seines kurzen Radstands nicht nur verblüffend wendig, er verhält sich dank seiner ausgeklügelten Achslastverteilung und der präzise abgestimmten Sicherheits- und Assistenzsysteme in allen Fahrsituationen beruhigend sicher.
Der Mercedes-Benz Travego als Safety Coach macht seiner Bezeichnung auch bei Schnee und Eis alle Ehre: Unterstützt von allen derzeit lieferbaren Sicherheits- und Assistenzsystemen verblüffen Leistungsvermögen und Sicherheitsniveau des 12,18 m langen Premium-Hochdeckers auch auf spiegelglatter Fahrbahn. Gleiches gilt für den faszinierenden Superhochdecker Setra TopClass S 516 HDH – der Dreiachser kombiniert Luxus und Sicherheit auf höchstem Niveau, selbst bei kritischen Fahrbahnzuständen.
Dabei steht nicht nur die generelle Funktion, sondern ebenso die omnibus-spezifische Feinabstimmung im Mittelpunkt. Eine unmittelbare Übernahme von Systemen aus den stückzahlträchtigen Lkw wäre für Mercedes-Benz und Setra viel zu einfach. Schließlich unterscheidet sich ein Omnibus nicht nur in Größe, Gewicht, Achskonfiguration und seinem Geschwindigkeitsprofil, sondern auch durch seine „Fracht“ in Form von Fahrgästen deutlich vom Verhalten eines Lkw.
Deshalb wird der maximale Bremsdruck des Active Brake Assist in Omnibussen von Mercedes-Benz und Setra nicht auf einen Schlag, sondern mit Rücksicht auf womöglich stehende Passagiere ansteigend eingesteuert. Feinabstimmungen dieser Art bedeuten einen hohen Aufwand: Zur Perfektionierung des neuen Brems-Assistenzsystems AEBS (Advanced Emergency Brake System) zum Beispiel waren zwei Wintertests durch den Omnibusversuch erforderlich. Einschließlich der dazwischen angesiedelten Sommertests in der Phase von Frühjahr bis Herbst bedeutet dies anderthalb Jahre intensive Erprobung.
Die umfangreichen und intensiven Entwicklungs- und Erprobungsarbeiten von Daimler Buses mit Mercedes-Benz und Setra werden bei den wesentlichen Entwicklungsschritten für die Einführung der neuen Fahrzeuggeneration mit Motoren der Abgasstufe Euro VI deutlich. Intensive Tests bei eisigen Temperaturen waren auch für die frühe und umfassende Einführung von Euro VI erforderlich. Schließlich kommt in den Omnibussen von Mercedes-Benz und Setra nicht nur eine neue und hochmoderne Motorengeneration zum Einsatz. Im Sinne höchster Wirtschaftlichkeit wurde für Euro VI ein komplett neuer Antriebstrang sowohl für Reise- und Überlandbusse mit Hochboden als auch für Stadt- und Überlandbusse in Niederflurbauweise entwickelt.
Die Omnibus-Vorentwicklung war damit bereits seit dem Jahr 2004 befasst, genau zehn Jahre vor der gesetzlichen Einführung von Euro VI. Zwei Jahre später fuhren schon erste Omnibusse der damaligen Generation als Aggregateträger mit Aggregaten nach Abgasstufe Euro VI auf den Straßen. Komplett neu aufgebaute Prototypen nach Euro VI gingen im ersten Halbjahr 2008 an den Start. Mercedes-Benz und Setra waren als erste Marken mit Testbussen unterwegs. Zwischen 2007 und 2013 absolvierte die neue Fahrzeuggeneration in diesem Rahmen jeweils sieben ausgiebige Winter- und Sommererprobungen.
Ergebnis der Erprobungen sind besonders ausgereifte und wirtschaftliche Lösungen für Verkehrsbetriebe und private Unternehmen. Gleichzeitig gingen Mercedes-Benz Citaro und Travego als erste Stadt- und Reisebusse mit komplett neu entwickelten Motoren nach Euro VI in Serie. Insgesamt waren für die Umstellung auf Euro VI zu Erprobungszwecken rund 60 Prototypen unterwegs, davon 26 Omnibusse für Dauerläufe. Sie legten zusammen mehr als fünf Millionen Kilometer zurück. Beteiligt waren 42 Versuchsingenieure, 33 Mechaniker und eine Vielzahl von Fahrern vor allem für Dauerläufe.
Wintertests haben in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle gespielt. In Lappland wurden die neu gestalteten Layouts der Motorräume mit ihrer präzise berechneten Luftdurchströmung bei Minustemperaturen auf die Probe gestellt. Im realen Stadtlinienbetrieb ließ sich die Abgasreinigung bei der kritischen Kombination von schwacher Last und extrem niedrigen Temperaturen testen.
Zuletzt mussten sich unter anderem der erst jüngst vorgestellte Mercedes-Benz CapaCity L und der Citaro G im skandinavischen Winter bewähren. Im Zentrum stand die Erprobung der einzigartigen und neuen Knickwinkelsteuerung ATC (Articulated Turntable Controller).
ATC setzt einen neuen Standard für Fahrdynamik und Sicherheit bei Gelenkbussen: Die fahrdynamische Steuerung ATC regelt die hydraulische Dämpfung des Gelenks schnell und vor allem bedarfsgerecht, abhängig unter anderem von Lenkwinkel, Knickwinkel, Geschwindigkeit und Last. Gerät der Gelenkbus in einen instabilen Zustand, wird die Dämpfung des Gelenks schnell und bedarfsgerecht eingesteuert. Damit wird der Gelenkbus im Rahmen der physikalischen Möglichkeiten sehr schnell stabilisiert und ein Aufschaukeln oder gar Ausbrechen des Hinterwagens mit dem gefürchteten Klappmessereffekt vermieden. Die neue Knickwinkelsteuerung ATC erzielt auf diese Weise annähernd den Effekt einer elektronischen Stabilitätsregelung ESP. Das bedeutet ein noch höheres Sicherheitsniveau für Gelenkbusse.
Der Einführung von ATC gingen intensive Erprobungen im Polarwinter voraus, um die Regelung aller Parameter auszuloten. Die geradezu normierten Bedingungen auf Schnee und Eis in Skandinavien boten ideale Bedingungen zur Abstimmung. Effekt: ATC reagiert feinfühlig, schnell, präzise und berechenbar – Überraschungen für den Fahrer eines Gelenkbusses mit Stern sind im Ernstfall deshalb ausgeschlossen.
Zu den spektakulärsten Manövern gehören schnelle Spurwechsel auf glatter Fahrbahn mit dem Stadtgelenkbus Mercedes-Benz Citaro G. Dank der einzigartigen neuen dynamischen Knickwinkelsteuerung ATC (Articulated Turntable Controller) gelingt auch diese Disziplin mit dem 18,13 m langen Omnibus sicher. Gleiches gilt für die Vollbremsung auf glatter Fahrbahn und auf µ-Split aus 80 km/h – ein Beweis für das nahezu unerschütterliche Fahrverhaltens. Fazit der Demonstration: Kein Gelenkbus ist sicherer als der Citaro G.
Und kein Gelenkbus mit einer angetriebenen Achse arbeitet sich effektiver aus heiklen Situationen heraus. Das unterstreicht eine typische Wintersituation an einer leicht zugeparkten oder mit Schnee an den Rändern zugeschobenen Haltestelle: Der Gelenkbus steht leicht eingeknickt mit der ersten und dritten Achse auf der griffigen Fahrbahn, die Mittelachse dagegen auf glattem Untergrund in der Haltebucht. Bei herkömmlichen Knickschutzregelungen würde der Hinterwagen den Gelenkbus beim Einknicken über die Mittelachse anschieben und weiter einknicken lassen – der Citaro G mit variabler Dämpfung des Gelenks aufgrund der innovativen Knickwinkelsteuerung ATC fährt dagegen sicher aus der Haltestelle.
Welche Mühe hinter der präzisen Auslegung von ATC steckt, zeigt ein weiterer Versuch mit dem neuen Mercedes-Benz CapaCity L. Der mächtige vierachsige Großraum-Gelenkbus streckt sich auf eine Länge von beeindruckenden 21,5 m. Tests mit dem Lenkroboter – ein rechnergesteuertes vollautomatisches Lenksystem – zeigen, welche Auswirkungen die Veränderung einzelner Parameter der Knickwinkelsteuerung auf das Fahrver-halten des Omnibusses haben.
Ob neue Modelle von Mercedes-Benz und Setra oder neue Komponenten für die beiden Marken: Jede Innovation wird zuvor ausgiebig erprobt. Antriebe müssen sich bei Hitze und Kälte beweisen. Fahrwerke bei niedrigem und hohem Reibwert der Fahrbahn. Vieles lässt sich heute rechnerisch simulieren, das verkürzt die Entwicklungszeit. Auf Prüfständen lassen sich einzelne Komponenten oder ganze Baugruppen unter die Lupe nehmen.
Praktiker jedoch wissen: Die Realität unterscheidet sich stets vom Rollenprüfstand. Das Verhalten der Abgasnachbehandlung bei geringer Last und großer Kälte lässt sich ebenso wenig am Rechner simulieren wie eine Vielzahl von Funktionen der Bremse oder des ESP. Auch benötigen zahlreiche Berechnungen den Abgleich durch praktische Tests. Das Spektrum umfasst den kompletten Omnibus von der Durchströmung des Motorraums bis zur Funktion der Scheibenwischer.
Erst bei den Tests von Omnibus-Prototypen unter Extrembedingungen trennt sich die Spreu vom Weizen. In Skandinavien erfolgt die Wintererprobung – bei ihr steht die Funktion im Vordergrund. Gleiches gilt unter umgekehrten Vorzeichen für die Testfahrten unter brennend heißer Sommersonne bei 40 Grad Celsius auf den anspruchsvollen Bergstrecken in der Sierra Nevada in Spanien. Dauerläufe absolvieren die Omnibusse von Mercedes-Benz und Setra in der Türkei. Dort gilt es nicht nur, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Kilometer zu fahren, außerdem strapazieren während eines Testtages große Temperaturunterschiede und extreme Luftfeuchtigkeitswechsel die Omnibusse.
Die Mitarbeiter des Versuchs von Daimler Buses betrachten sich bei ihren Tests als erste und besonders kritische Kunden. Ihnen ist nicht nur die generelle Funktion aller Bauteile wichtig, sie erspüren ebenfalls, wie die Bauteile in der Praxis funktionieren. Ein wesentlicher Bestandteil speziell bei der Wintererprobung auf Eis und Schnee ist deshalb das, was Fahrwerksspezialisten als „Popometer“ bezeichnen. Das Empfinden des Fahrverhaltens im Alltag und in Extremsituationen, auch das Pedal- und Lenkgefühl. Bei Daimler Buses wird mit allen Sinnen getestet, deshalb ist die Wahrnehmung der erfahrenen Mannschaft so wichtig – am Steuer zählt das Gesamtereignis.
Der Versuch von Daimler Buses zählt rund 200 Mitarbeiter. Sie arbeiten nicht nur markenübergreifend für Mercedes-Benz und Setra, sondern haben für die Omnibusse des Konzerns einen weltweit gültigen Prüfkatalog mit einheitlichen Standards entwickelt. Er orientiert sich nicht nur an offiziellen Normen und Bestimmungen, sondern enthält ebenfalls eine Vielzahl intern entwickelter Tests. Insgesamt umfasst der Prüfkatalog rund 300 verschiedene Tests, die zum Beispiel bei einem komplett neuen Omnibus angewendet werden.
Während des Aufenthalts in Skandinavien sind nicht nur die Omnibusse, sondern auch die begleitenden Mitarbeiter gefordert. Versuchsingenieure, Mechanikern und Fahrer sind trotz unwirtlicher Witterung mit großem Engagement dabei. Je nach Ziel der Erprobung sind wechselnde Teams vor Ort, zum Beispiel für Antriebstrang oder Fahrwerk. In Extremfall arbeiten Mitarbeiter über die gesamte Testzeit bis zu fünf Wochen am Stück in Skandinavien. Damit sich der enorme Testaufwand lohnt, läuft der Test-betrieb an sechs Tagen in der Woche von morgens bis abends, in der kalten Jahreszeit zwangsläufig sogar zu einem großen Teil in der Dunkelheit. Auch Außenarbeiten an den Fahrzeugen sind bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt sehr anspruchsvoll.
Trotz den damit verbundenen Strapazen sind die Tests am Polarkreis in der Versuchsmannschaft sehr beliebt. Und: Sämtliche Mitarbeiter brechen freiwillig zu den Wintertests auf – nach Ablauf dieser Wintersaison ist es im kommenden Jahr wieder soweit.
Mercedes-Benz und Setra sind traditionell Vorreiter für neue Sicherheits- und Assistenzsysteme. Ohne eine intensive und frühzeitige Erprobung dieser Systeme wären Sicherheitsgewinn und Sicherheitsvorsprung nicht nur im Sinne der Insassen von Omnibussen als auch von anderen Verkehrsteilnehmern nicht möglich.
Schon die legendären Reisebusse der Baureihe Mercedes-Benz O 303 und der Baureihe 200 von Setra waren vor fast 40 Jahren im skandinavischen Winter anzutreffen. Im Januar 1981 präsentierte Mercedes-Benz der internationalen Fachpresse als erster Hersteller das Antiblockiersystem ABS für Omnibusse und Lkw – Schauplatz der spektakulären Vorführungen war das Versuchsgelände in Rovaniemi. Im gleichen Jahr führte auch Setra ABS ein und übernahm es drei Jahre später als erster Omnibushersteller in die Serienausstattung – ebenfalls nach ausgiebiger Erprobung im hohen Norden.
Bald darauf folgte bei beiden Marken die Einführung der Antriebs-Schlupfregelung ASR. Auch die Einführung von ESP mit seinen zahlreichen Unterfunktionen oder des Notbremsassistenten Active Brake Assist wäre ohne eine intensive Erprobung in Skandinavien in diesem Umfang und in dieser Qualität der Systeme kaum möglich gewesen.
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Freitag, den 21. August 2015 um 00:10 Uhr | 5.677 Besuche
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