2017
Maschinist Wolfgang Stenger steht neben seinem leuchtend verkehrsgelben Mercedes-Benz Arocs 3253 L 8×4, rückt nochmal kurz seine Gehörschützer am Helm zurecht und lässt den Motor an, ganz lässig aus dem Handgelenk, per Knopfdruck auf der Fernsteuerung. Noch ein Knopfdruck, der 32-Tonner holt tief und hörbar Luft, vibriert kurz und in dem massigen Aufbau beginnt es zu dröhnen, als wäre es ein riesiger Staubsauger. Klingt nicht nur so, ist auch so. Denn der kantige Vierachser ist ein sogenannter Saugbagger und funktioniert nach dem gleichen Prinzip – wenn auch ein paar Nummern größer und mit deutlich mehr Power.
Das hochinnovative Spezialfahrzeug für Tiefbaueinsätze der Firma Hölzl Agrosystem e.K. aus Schonstett im Kreis Rosenheim ist erst zweieinhalb Monate alt und arbeitet aktuell auf einer Baustelle im Bayerischen Landtag in München. Was die Maschine, die mitten auf der imposanten Auffahrt des historischen Gebäudes steht, eigentlich genau tut, sieht man erst, wenn man das Heck in Augenschein nimmt und dem Saugschlauch folgt. Den lenkt ein hydraulisch steuerbarer Trägerarm in hohem Bogen direkt hinab in einen Bauschacht neben dem Fundament der Fassade. Dort, anderthalb Etagen tiefer hinter der dicken Mauer, schachten Bauarbeiter den Keller des Landtags aus, um neue Versorgungstechnik zu installieren.
Ohne den Saugbagger müssten die Arbeiter Bauschutt und Erdaushub mühsam mit der Schubkarre von dort unten nach draußen befördern. Doch so schaufelt ein Minibagger das Material lediglich vor das Ende der Schlauchleitung und der starke Luftstrom zieht alles, egal ob dicke rote Backsteinbrocken oder feines Kalksteingebrösel, nach oben in den acht Kubikmeter fassenden Sammelbehälter auf dem Arocs. Mit einer Umwälzung von bis zu 44.000 m3 Luft pro Stunde und einem maximalen Unterdruck von knapp 0,45 bar geht dabei auch ganz ordentlich was voran. Der Behälter ist innerhalb kürzester Zeit voll.
Für die beeindruckende Saugleistung sorgen zwei besondere Hochleistungs-Ventilatoren mit einer Drehzahl von bis zu 4.100 U/min, die der Aufbauhersteller, die Reschwitzer Saugbagger Produktions GmbH, kurz RSP, in seinem neusten Modell, dem ESE 8 RD 8000, verbaut. Der Einsatz dieser leistungsstarken Komponenten ist laut RSP möglich, da speziell im Arocs der Nebenabtrieb, der die Ventilatoren antreibt, direkt durch das langsame Schließen der Fahrkupplung angefahren werden kann. So starten die Ventilatoren mit einer viel geringeren Belastung für den Antriebsmotor, was auf allen Seiten für erhöhte Lebensdauer sorgt. „Außerdem ist unser Saugbagger der erste dieser ganz neuen Baureihe und mit dem Arocs setzen RSP und wir bewusst auf ein ausgereiftes und zuverlässiges Trägerfahrzeug“, beschreibt Unternehmer Josef Hölzl, der insgesamt fünf Saugbagger besitzt, die Auswahl des Arocs.
Zuverlässigkeit ist auch das Stichwort, wenn es um den Motor des Arocs geht. Der leistungstechnisch weiterentwickelte Reihensechszylinder OM 471 Euro VI mit jetzt 530 PS ist vor allem im kontinuierlichen Saugbetrieb, wie bei der aktuellen Aufgabe, gut gefordert. Denn obwohl die Firma Hölzl europaweit tätig ist, bekommt das 12,8-Liter-Aggregat die meisten Betriebsstunden nicht auf der Fahrt, sondern bei der Arbeit im Stand. Auffallend, wie leise der Arocs dabei vor sich hin werkelt. Das gegenwärtige Getöse kommt nämlich nicht vom Fahrzeug, sondern von den Ventilatoren, dem „Windgeräusch“ der im Aufbau bewegten Luft und dem Material, das in die metallenen Innereien hineinprasselt.
Wolfgang Stenger drückt wieder die Knöpfe auf seiner Fernsteuerung, schaltet den Aufbau aus und schon lässt der Geräuschpegel nach, bis nur noch das Leerlaufblubbern des Arocs zu hören ist. Um das eingesaugte Material wieder zu entleeren, muss nicht so viel „Wirbel“ gemacht werden. Denn ein Highlight des ESE 8 ist der völlig neu konzipierte Kippmechanismus. Der Maschinist zieht das Fahrzeug dazu nur ein paar Meter nach vorne, wo es ebener ist, und fährt vier schwere computergesteuerte Stützen aus dem Chassis, die den Arocs aus der Federung heben und ihn automatisch ausnivellieren. Dann schiebt sich der mittig gelagerte Behälter hydraulisch bis zu einer Überkipphöhe von 2,5 Metern nach oben und kippt, je nach Bedarf, links oder rechts ab. So landet der Inhalt direkt in der Mulde des neben dem Saugbagger geparkten Lkw. Für 32-Tonner-Verhältnisse höchst elegant und vor allem flexibel, bisher war nur fahrerseitiges und nicht überhöhtes Entleeren möglich. Danach setzt der Fahrer den Megastaubsauger in die ursprüngliche Position zurück, schließt die Schlauchleitung wieder an und schon geht es mit dem alternativen „Kellerausputz“ weiter.
Obwohl das Fahren mit dem Arocs offensichtlich den kleineren Teil von Wolfgang Stengers Job darstellt, ist er auch diesbezüglich von seinem Neuen angetan: „Einfach laufruhig, leichtgängig und sehr angenehm. Mit dem automatisierten PowerShift 3 Getriebe fährt er sich fast wie ein Pkw. Ein weiterer großer Vorteil ist natürlich die Wendigkeit des Arocs mit seiner gelenkten vierten Achse, gerade für enge Baustellenbereiche abseits normal breiter Straßen.“ Auch das komfortable Interieur des StreamSpace-Fahrerhauses gefällt Fahrer und Chef. Zur langen Liste der Ausstattung gehören unter anderem Komfortsitze, Klimautomatik, Kühlschrank und Komfortbett. „Unsere Maschinsten übernachten zwar nicht im Fahrzeug, aber, dass ich ihnen auch in der Bau-Variante Fernverkehrsannehmlichkeiten bieten kann, finde ich sehr gut. Das ist mir persönlich wichtig“, betont Josef Hölzl und Wolfgang Stenger ergänzt: „Bisher hat es für den Arocs und mich zwar erst zu etwas über 4.500 gemeinsamen Kilometern gereicht, aber der erste Eindruck ist top.“
Neben dem neuartigen Kipper-Prinzip verfügt der Saugbagger über eine große Anzahl weiterer technischer Features, die dem Bediener ein Höchstmaß an Effizienz und Sicherheit bieten. Dazu gehören unter anderem automatisierte und computergestützte Steuerungsmöglichkeiten des Gelenkschlauchträgers und ein elektronisches Bord-Informationssystem auf dem sich alle Betriebszustände überwachen lassen. Aber auch Sicherheitseinrichtungen wie zum Beispiel das Sperren der Arbeitshöhe, für Einsätze in Tunneln oder unter Oberleitungen, sowie Sensoren zur Erkennung von brennbaren Gasen und Wasserstoff in der angesaugten Umgebungsluft. Um diese aufwendige Elektronik anzubinden, bietet Mercedes-Benz mit Zugang zu umfangreicher Dokumentation, gut ausgebauten Schnittstellen am Basisfahrzeug und dem Parametrierprogramm Star Diagnose auch für hochspezialisierte externe Aufbauhersteller technische Unterstützung und besten Service.
Fotos: Daimler AG
Geschrieben von Maik Jürß
Erschienen am Sonntag, den 10. Dezember 2017 um 00:05 Uhr | 4.286 Besuche
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