2010
Spektakulär im authentischen Rennwagen-Outfit präsentieren sich zwei ganz besondere S-Klasse Limousinen von AMG. Zum Renntourenwagen 300 SEL 6.8 AMG von 1971 gesellt sich der S 63 AMG “Thirty-Five“. Mit identischem Sponsoring und der markanten Startnummer „35“ erinnert das neue High-Performance-Automobil an einen historischen Erfolg: Am 25. Juli 1971 überquerte der feuerrote Viertürer beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps als Zweiter die Ziellinie. Der Triumph gleich beim allerersten Renneinsatz machte AMG über Nacht weltberühmt.
Am Steuer des AMG Tourenwagens wechselten sich die erfahrenen Piloten Hans Heyer und Clemens Schickentanz ab. AMG war bei dem belgischen Langstreckenklassiker alles andere als Favorit: Die damaligen mächtigen Gegner hießen Ford Capri RS, BMW 2800 CS, Chevrolet Camaro, Opel Commodore und Alfa Romeo GTA. Keiner rechnete damit, dass die große Luxuslimousine aus der schwäbischen Provinz Affalterbach mit den arrivierten Teams mithalten könne. Bereits im Training zeigt der rote Viertürer sein Potenzial: Clemens Schickentanz überraschte mit der fünftschnellsten Trainingszeit. Startplatz fünf bei 60 Teilnehmern, das hatte von AMG niemand erwartet. 80.000 Zuschauer wunderten sich über die schnelle, rote Limousine mit dem langen Radstand – übrigens der einzige Mercedes im Starterfeld. Auf der Pole Position stand der favorisierte Chevrolet Camaro von Ivo Grauls und Peter Hoffmann, dahinter der Alpina-BMW 2800 CS von Niki Lauda/Gérard Larousse, daneben der erste Werks-Ford Capri mit Dieter Glemser und Alex Soler-Roig sowie der Schnitzer-BMW 2800 CS, gefahren von Rauno Aaltonen und Helmut Kelleners. Insgesamt 60Tourenwagen machten sich auf Zeitenjagd auf dem damals noch 14,1 Kilometer langen Ardennenkurs, pilotiert von so klangvollen Namen wie Hans-Joachim-Stuck, Jochen Mass, Toine Hezemans, Willy Kauhsen, Achim Warmbold und Rainer Braun.
In der ersten Runde konnte sich Startfahrer Hans Heyer mit dem 300 SEL 6.8 AMG gleich hinter dem Ford Capri (Glemser/Soler-Roig) und dem Chevrolet Camaro (Grauls/Hoffmann) auf Platz drei behaupten. Nach einem turbulenten Rennverlauf mit einem Unwetter zu Mitternacht und zahlreichen Ausfällen überquerte die „35“ direkt hinter dem Werks-Capri von Glemser/Soler-Roig auf dem zweiten Platz die Ziellinie. Die AMG Limousine hatte in den 24 Stunden exakt 308 Runden zurückgelegt. Technische Probleme: Fehlanzeige. Die Sensation war perfekt.
Die technische Basis für den AMG-Rennwagen war der Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 der Baureihe 109. Mit einer Leistung von 184 kW (250 PS) bei 4000/min und einer Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h war die Luxuslimousine seinerzeit das schnellste deutsche Serienautomobil. Nicht nur die Hubraumerhöhung von 6330 auf 6835 ccm brachte einen Leistungszuwachs auf 315 kW (428 PS) bei 5500/min und einen Drehmomentanstieg von 500 auf 608 Newtonmeter. AMG Mitbegründer Erhard Melcher „frisierte“ den Achtzylinder mithilfe klassischer Maßnahmen: Schärfere Nockenwellen und modifizierte Kipphebel, erleichterte Pleuel, neue Mahle-Kolben, größere Einlassventile, geänderte Brennräume, polierte Ein- und Auslasskanäle, eine neue Ansaugbrücke mit zwei Drosselklappen sowie eine Renn-Abgasanlage sorgten für besseren Gasdurchsatz und ermöglichten höhere Drehzahlen. Vom Einbau eines Zusatzölkühlers und dem Feinwuchten der Kurbelwelle profitierte die Standfestigkeit. Um für die leichten, 10 x 15 bzw. 12 x 15 Zoll großen Magnesiumfelgen eines C 111 Platz zu schaffen, wurden die Kotflügel verbreitert. Türen aus Aluminium halfen, das Gewicht von ursprünglich 1830 auf 1635 Kilogramm abzusenken. Größer dimensionierte Querlenker an der Vorderachse, eine robustere Hinterachse mit verstärktem Differenzial und kleinere, härtere Luftfederbälge machten die Limousine fit für den Renneinsatz.
Der unerwartete Gewinn beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps machte das [intlink id=“1707″ type=“post“]1967 gegründete Unternehmen AMG[/intlink] über Nacht bekannt – und ist gleichzeitig der Beginn einer eindrucksvollen Erfolgsgeschichte. Sogar die „Tagesschau“ berichtete über den Überraschungserfolg. „Das war schon eine Sensation damals“, erinnert sich AMG Gründer Hans Werner Aufrecht an das überraschende Ergebnis. Der Mut von Aufrecht und Partner Melcher, mit einem solchen Fahrzeug beim belgischen 24-Stunden-Klassiker anzutreten, wurde belohnt. Danach trat der 300 SEL 6.8 AMG am 11. und 12. September 1971 in Paul Ricard zum 2×6-Stunden-Rennen an, begleitet von einem privat eingesetzten 300 SEL 6.3 mit AMG-Motor. Im März 1972 nahm der 300 SEL 6.8 AMG, jetzt gelb umlackiert, an den Vortests der 24 Stunden von Le Mans teil, ging aber beim Rennen im Juni nicht an den Start. Weitere Wettbewerbseinsätze gab es dagegen beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring im Juni 1972 und bei den 200 Meilen von Nürnberg am 6. August 1972 auf dem Norisring. Dort siegte Hans Heyer in der Klasse „Serien- und Spezialtourenwagen über 2000 cm³ Hubraum“ mit dem wieder rot lackierten Viertürer. Weitere Erfolge blieben dem 300 SEL 6.8 AMG verwehrt: Eine Reglementänderung der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA) bremste den Boliden aus, denn im Tourenwagen-Europapokal waren künftig nur noch Wagen bis fünf Liter Hubraum startberechtigt. AMG verkauft seine Rennlimousine an den französischen Mischkonzern Matra, wo er für Hochgeschwindigkeitstests von Flugzeugreifen umgebaut wird. Danach verliert sich seine Spur. Im Frühjahr 2006 baute Mercedes-AMG ein Replikat des 300 SEL 6.8 AMG nach Originalunterlagen auf, um die einzigartige Erfolgsgeschichte lebendig zu halten.
Wie sein historischer Vorgänger sorgt auch der neue [intlink id=“1479″ type=“page“]S 63 AMG Showcar[/intlink] für Aufsehen. Die imposante Bereifung mit 275/35 R 20 und 325/30 R 20 Pneus an Vorder- und Hinterachse zieht die Blicke ebenso an wie die pro Seite um 4,5 Zentimeter verbreiterten Kotflügel. Die Startnummer 35 und praktisch alle Sponsoring-Aufkleber sind dem Original nachempfunden. Anstelle des feuerroten Unilacks ziert die Karosserie des Showcars „AMG Le Mans rotmetallic“ ein exklusiv nur beim neuen SLS AMG erhältlicher Farbton. Im funktionellen Interieur entdeckt der Kenner Zierteile in Klavierlack Schwarz/Carbon. Ein Überrollkäfig, zwei AMG Sportschalensitze mit Vierpunktgurten sowie ein AMG Sportlenkrad mit Leder-/ Alcantarabezug unterstreichen den Renntourenwagen-Charakter. Der spektakuläre Showcar gibt einen Ausblick auf die Serienversion des neuen S 63 AMG, die im September 2010 ihre Markteinführung feiern wird.
Für Vortrieb sorgen [intlink id=“1454″ type=“post“]der neue AMG 5,5-Liter-V8-Biturbomotor und das AMG SPEEDSHIFT MCT 7-Gang-Sportgetriebe[/intlink]. Der neue AMG 5,5-Liter wird in der Mercedes-AMG Modellstrategie der nächsten Jahre eine bedeutende Rolle spielen. Auch das einzigartige AMG SPEEDSHIFT MCT 7-Gang-Sportgetriebe wird bei künftigen AMG Hochleistungsfahrzeugen eine faszinierende und gleichzeitig ökonomisch betonte Kraftübertragung garantieren. Die neue Motor-Getriebe-Kombination ist ein weiterer Meilenstein in der 1967 begonnenen Erfolgsgeschichte von Mercedes-AMG.
Die 1921 eröffnete Rennstrecke von Spa-Francorchamps in den belgischen Ardennen gilt unter Rennfahrern und Fans als legendäres Pflaster – und hat unter Insidern beinahe den gleichen Stellenwert wie die Nürburgring-Nordschleife. 1983 wurde Spa nach langwierigen Umbaumaßnahmen wieder an Stelle des Kurses in Zolder in den Rennsportkalender aufgenommen. Die Strecke war schon 1979 auf etwa die Hälfte verkürzt worden. Der neue Streckenteil zweigt nach der Kemmel-Geraden ab und führt nach der Stavelot-Kurve auf die alte Strecke zurück. Durch diesen Umbau gelang es, die Sicherheit zu erhöhen und doch den ursprünglichen Charakter teilweise zu erhalten.
Ab 2001 wurden die Teile der nun 6,976 km langen Strecke, die noch reguläre Landstraßen waren, für den öffentlichen Verkehr gesperrt und durch eine neue Umgehungsstraße ersetzt. Seither ist der Circuit de Spa-Francorchamps eine permanente Rennstrecke.
Der heute sieben Kilometer lange Kurs ist allein schon wegen seiner abwechslungsreichen Streckenführung und seiner beträchtlichen Höhenunterschiede eine besondere Rennstrecke, daher wird sie auch oft „Ardennen-Achterbahn“ genannt. Weltberühmt ist Spa-Francorchamps wegen der berüchtigten Kurvenkombination „Eau Rouge“. Kurz nach Start/Ziel und der folgenden Spitzkehre „La Source“ geht es über ein Gefälle hinunter zur schnellen Links-rechts-Kombination. Gleich darauf folgt eine respektable Steigung, die in die schnelle und zudem „blinde“ Linkskurve „La Radillon“ übergeht -eine Mutprobe für jeden Rennfahrer. Grundsätzlich passt immer nur ein Auto durch die anspruchsvolle Kurvenkombination – niemals jedoch zwei oder gar drei nebeneinander. Außerdem gilt es, durch eine ideale Linie genügend Schwung für die folgende lange „Kemmel“-Gerade mitzunehmen. Eine weitere Schlüsselstelle ist die ultraschnelle Doppel-Linkskurve von „Blanchimont“, wo Geschwindigkeiten von rund 300 km/h gefahren werden, bevor die Rennfahrzeuge kurz vor der „Bus-Stop-Schikane“ hart heruntergebremst werden müssen.
Den offiziellen Rundenrekord in Spa-Francorchamps hält der siebenfache Weltmeister Michael Schumacher: Die gefahrene Rundenzeit von 1:43,726 Minuten datiert von 2002 und entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 241,837 km/h. Heute ist Spa-Francorchamps der Austragungsort des Formel-1-Rennens, dem Großen Preis von Belgien (27. bis 29. August 2010), sowie des 24-Stunden-Rennens (31. Juli bis 1. August 2010) – eben jene Rennveranstaltung, bei der der 300 SEL 6.8 AMG im Jahr 1971 den zweiten Platz belegen konnte.
(Fotos: Daimler AG)
Geschrieben von Oliver Hartwich
Erschienen am Dienstag, den 08. Juni 2010 um 17:19 Uhr | 8.705 Besuche
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